11 Bausteine für die Revitalisierung des Ihme-Zentrums
1 Der Sockel öffnet sich als Verbindung der Stadtteile
Das Ihme-Zentrum wurde in den 70er Jahren als multifunktional genutzte, urban verdichtete Komplexbebauung errichtet. Realisiert wurde eine Stadt der kurzen Wege, die als Pilotprojekt eines autofreien Stadtteils aufgefasst werden kann. All diese Themen sind noch heute wieder aktuell und manifestieren sich in der ungebrochenen Beliebtheit der Wohnungen.
Dagegen wurde der Sockel als Anliefer- und Garagengeschoss nach dem Scheitern des überregionalen Einkaufszentrums zur unansehnlichen Brachfläche und zum städtebaulichen Missstand. Öffentliche Sanierungsbemühungen müssen sich auf die Einbindung des Sockels in den Stadtteil konzentrieren. Belebt wird der Sockel durch die Verknüpfung mit dem Wegesystem der angrenzenden Stadtteile. Nicht nur Linden profitiert von der verbesserten Durchlässigkeit des Sockels. Das Ihme-Ufer wird als Freifläche zugänglich.
Notwendig sind dafür drei öffentlich gewidmete Freiflächen als Wegeverbindungen in der Erdgeschossebene:
- eine Verbindung vom Küchengarten zur Ihme mit neuer Brücke zur Calenberger Neustadt
- eine übersichtlichere Verbindung von Gartenallee über die Ida-Ahrenhold- Brücke.
- der Rad- und Fußweg entlang des Ihme-Ufers
Entlang dieser neu gewidmeten öffentlichen Flächen gelingt die Grundlage für die Entflechtung von Gewerbe und Wohnen. Die einzelnen Wohn- und Bürogebäude werden dadurch direkt von öffentlicher Fläche erschlossen. Sie erhalten eigene Adressen und Zugänge. Sie werden unabhängig von den Gewerbeflächen des ehemaligen Einkaufszentrums.
Die Gewerbeflächen können mit kalkulierbaren Zustimmungserfordernissen neu entwickelt werden.
2 Verbesserung der Anbindung nach Linden-Nord und Linden-Süd
Im Zusammenhang mit der Neuerrichtung des Hochbahnsteigs am Küchengarten und der Sanierung der Spinnereibrücke wird das 50 Jahre alte Verkehrskonzept auf aktuelle Anforderungen angepasst. Die Elisenstraße wird nur noch direkt über die Spinnereistraße erschlossen. Öffentlicher und privater Nahverkehr werden neu sortiert. Die für das Gelingen der Mobilitätswende notwendige Verbesserung der Rad- und Fußwegverbindungen werden nach heutigen Maßstäben umgesetzt. Bisherige KfZ-Verkehrsflächen werden zurückgewonnen. Straßenprofile können auf innerstädtisch übliche Querschnitte reduziert werden.
Auf dem bisher brachliegenden städtischen Grundstück Limmerstraße/Spinnereistraße/Elisenstraße können über 100 Wohnungen und zusätzlich Gewerbeflächen entstehen. Der Stadtteil Linden wächst auf das Ihme-Zentrum zu. Die Gewerbeflächen im Ihme-Zentrum werden an die belebte Limmerstraße angebunden.
Die Gewerbe- und Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss des Ihme-Zentrums beleben die Blumenauer Straße. Sie gewinnt damit ihre historische Bedeutung als Verbindungsachse zwischen „Schwarzer Bär“ (Linden-Süd) und Limmerstraße (Linden-Nord) zurück. Die kommerzielle und kulturelle Aktivität am „Schwarzen Bär“ wird durch die Aufwertung der Rad- und Fußweges auf der Uferseite an das Ihme-Zentrum herangeführt.
3 Ein Mobilitäts-Hub belebt den Sockel des Ihme-Zentrums
Die Neuordnung von privatem und öffentlichem Verkehr führt zu einem verbesserten Umsteigepunkt des öffentlichen Nahverkehrs am Küchengarten. Benachbart wird das Fernradwegenetz an dieser Stelle zu einem Kreuzungspunkt von Nord-Süd und Ost-West-Verbindung vervollständigt.
Die leerstehende riesige Tiefgarage bietet räumliche Möglichkeiten für den Ausbau der E-Moblität. Nachtstromüberschüsse aus dem benachbarten Heizkraftwerk werden zur Aufladung genutzt. Dieser Mobilitäts-Hub belebt den Sockel des Ihme-Zentrums und stellt die Verbindung vom Küchengarten über die Ihme-Aue zum Innenstadtring her. Die Tiefgarage wird Stadtteilparkhaus für Carsharing. Der Fuhrpark wird überlagernd von den Gewerbebetrieben, Bewohnern und Beschäftigten in Büros und öffentlichen Einrichtungen genutzt.
Im Sockel entsteht ein Paketverteilzentrum für den Stadtteil. Der letzte Lieferkilometer wird von Fahrrädern und E-Mobilen bewältigt und trägt damit zur erheblichen Reduktion von Feinstaub und CO? bei.
4 Einzelhandelsflächen
Einzelhandelsflächen für den Stadtteilbedarf werden entlang der Wege durch das Ihme-Zentrum entwickelt. Der Einzelhandel wird am Küchengarten und am „Schwarzen Bären“ an das vorhandene Angebot angebunden. Der Mobilitäts-Hub führt zu einer Belebung der Wegeverbindung und des Erdgeschosses – als Grundlage für das Gedeihen des Einzelhandels.
5 Produktive Stadt
Durch die Digitalisierung werden Teile der Produktion kleinmaßstäblicher und stadtverträglich. Sie können als produktive Ergänzung zur Kreativwirtschaft in die Stadt zurückkehren.
Die Produktion profitiert von der innerstädtischen Lage. Der Zugang zu qualifiziertem Personal ist leichter. Die Nähe zu Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen verbessert die Entwicklungsdynamik. Der direkte Marktzugang in der Stadt wird zum Standortvorteil. Geflüchtete werden nur durch die Beteiligung am Arbeitsleben wirklich integriert. Zahlreiche arbeits- und gewerberechtliche Einschränkungen behindern diese Integration.
Überholte städtebauliche Nutzungseinschränkungen und der derzeitige Druck auf den innerstädtischen Bodenmarkt drohen, das Stadtteilgewerbe weiter in monofunktionale Gewerbegebiete in den Vorort zu verdrängen. Dabei bietet die Mischung von Gewerbe und Wohnen, die Überlagerung von moderner, digitalisierter Produktion mit der Ökonomie für Geflüchtete und dem Stadtteilkleingewerbe große Integrationspotenziale. Der Großteil des Sockels erhält durch diese Nutzung belebte Fassaden. Über Lichthöfe zwischen den Gebäudezeilen der Obergeschosse wird der Sockel mit Tageslicht versorgt.
6 Kulturelle Nutzungen als Leuchtturmprojekt für die Bewerbung zur europäischen Kulturhauptstadt
Die verwaiste Betonstruktur ist als interpretationsfähige Nische in der Stadt Sehnsuchtsort. Davon zeugen die vielen Kunstaktionen, Theaterstücke, Konzerte und Ausstellungen die im Ihme-Zentrum in den letzten Jahren stattgefunden haben. Neben der Zukunftswerkstatt Ihme-Zentrum bieten die Agentur für kreative Zwischenraumnutzung und die Galerie Brutal Möglichkeiten für die kulturelle Neuinterpretation der Flächen, die durch das Scheitern des überregionalen Einkaufszentrums verfügbar geworden sind. Für den Bereich neben der Zukunftswerkstatt ist ein Konzept für eine Genossenschaft entwickelt worden, die dringend benötigte Atelierflächen für die bildenden Künstler in Hannover bereit stellen kann.
Im Rahmen der Bewerbung als europäische Kulturhauptstadt ist das Stadtlabor Ihme-Zentrum ein Versuchs- und Demonstrationsort für die Erneuerung und kulturelle Regeneration der europäischen Stadt. Die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Europäische Kulturhauptstadt wird ein tragender Impuls für das Sanierungskonzept und Nutzung der Leerstandsflächen.
7 Freiflächen
Wichtiger Bestandteil der Sanierung des Sockels ist die Zuordnung der Freiflächen.Die Freiflächen und Wegesysteme im Erdgeschoss als städtische Kommunikationsebene erhalten öffentlichen Charakter. Die Durchlässigkeit zur Ihme-Aue und die Einbindung in das städtische Wegesystem werden verbessert.
Dagegen werden die Freiflächen im Obergeschoss den Nutzern und Bewohnern zugeordnet. Die nur im Rohbau fertiggestellte Blechhalle wird entfernt. Hier entstehen halböffentliche Flächen. Das Urban Gardening Projekte wird ausgeweitet. Notwendige Grundlage ist die sozialräumliche Zuordnung zu Nutzern und die Klärung der Verfügung der Flächen. Die räumlichen Umgestaltung der Freiflächen bildet diese Zonierung ab und vermittelt dies Bewohnern und Besuchern.
8 Wohnen und Service-Wohnen
Die weitgehend leerstehende Bebauungszeile entlang der Blumenauer Straße ist aufgrund der Ausrichtung sehr gut zur Umnutzung zu Wohnungen geeignet. Durch die hohe Verdichtung und die Erschließung aller Wohnungen mit Fahrstühlen kann im Ihme-Zentrum ein fein abgestuftes System an Betreuungsleistungen in barrierefreien Wohnungen angeboten werden, das in allen anderen Stadtteilen aufgrund der Wegstrecken unwirtschaftlich wäre. Ergänzend zu den Service-Angeboten in den Wohnungen kann im südlichen Bereich eine stationäre Einrichtung etabliert werden. Denkbar ist die Umsiedlung oder Auslagerung des Godehardi-Stift.
Im Block Limmerstr./?Spinnereistr./?Elisenstraße können ergänzend viele neue Wohnungen entstehen, weil durch den Rückbau der überflüssigen Verkehrsflächen ein großes, zentral gelegenes Grundstück verfügbar wird.
9 Urbane Energiewende und Smart City
Im Ihme-Zentrum besteht erheblicher energetischer Sanierungsbedarf an der Haustechnik. Chancen für ein klimaneutrales Ihme-Zentrum sind die sehr kompakten Gebäude mit einheitlicher Baukonstruktion, einheitliche bisherige Fernwärme- und Stromversorgung sowie die hohe Verdichtung gemischter Nutzungen. Energiequellen im Umfeld sind die geplante Photovoltaik-Anlage, die durch eine Mietergenossenschaft betrieben wird und das benachbarte GUD-Kraftwerk mit Nachtstromüberschüssen. Energiekreisläufe können zwischen den Nutzungen Wohnen, Büros, Einzelhandel, Produktion und den E-Mobilen im Mobilitäts-Hub sowie zusätzliche Energiespeichern in den ehemaligen Tiefgaragengeschossen gesteuert werden.
Die organisierte Eigentümerstruktur kann die Erfassung der Daten für Energieaustausch und Energieverbrauch im Zusammenhang mit der Modernisierung der Haustechnik in Angriff nehmen. Die Datenerfassung als Grundlage der „Smart City“ soll zu einem Modellprojekt werden, das sicher stellt, dass Datenschutzstandards eingehalten werden, vor Monopolstrukturen geschützt werden und die Daten anonymisiert verfügbar sind.
10 Nutzung als temporäre Ausweichflächen
Zwischen Stadt und Gewerbegroßeigentümer sind bereits zeitlich gestaffelte Büronutzungen vereinbart, die sich nach den notwendigen baulichen Sanierungen richten. Darüber hinaus bieten sich die Leerstandsflächen im Ihme-Zentrum als temporäre Ausweichquartiere für die IGS Linden und das Freizeitheim Linden an. Beide Einrichtungen müssen in den nächsten Jahren so grundlegend saniert werden, dass dies parallel zur Nutzung ihrer Bestandsgebäude nicht möglich ist.
11 Beteiligungsverfahren und vorbereitende Untersuchung
Im Rahmen der geplanten Durchwegung an der Gartenallee wurde von der Stadtverwaltung ein Moderationsprozess eingeleitet. Dieser muss zum Beginn eines Beteiligungsprozesses mit transparenten Informationsaustausch werden. Die Integration des Sockels des Ihme-Zentrums in die benachbarten Stadtteile gelingt nur im gemeinsamen Prozess von Eigentümern, Nutzern, Anwohnern der benachbarten Quartiere und Stadtverwaltung.
Nach Auffassung der Arbeitsgruppe Architektur und Stadtplanung der Zukunftswerkstatt Ihme-Zentrum soll dafür eine vorbereitenden Untersuchung in Auftrag gegeben werden.
Im Baugesetzbuch ist ein Beteiligungsverfahren verankert, das alle Betroffenen einbezieht. Weiterhin werden verlässliche Aussagen über die bausubstanzielle, wirtschaftliche und rechtliche Ausgangssituation sowie ein Sanierungskonzept erarbeitet. Schließlich werden die räumliche Ausdehnung, Zielrichtung, Nutzen und Kosten der öffentlichen Intervention zusammengestellt. Auf dieser Grundlage
• entscheidet die Politik, ob der öffentliche Mittelaufwand im Verhältnis zum öffentlichen Nutzen angemessen ist
• entscheiden die Eigentümer, ob das Sanierungskonzept für sie vorteilhaft und wirtschaftlich tragbar ist Wird danach beschlossen, ein Sanierungsverfahren einzuleiten, können für die Beseitigung der städtebaulichen Missstände Mittel von Land und Bund herangezogen werden. Zusätzliche Investitionen können durch erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten ausgelöst werden.
Der Auftrag einer vorbereitenden Untersuchung löst keine Verpflichtung einer öffentlichen Investition in das Ihme-Zentrum aus. Es werden lediglich die ohnehin für alle Beteiligten notwendigen Entscheidungsgrundlagen zusammengetragen. Stadt und Politik klären parallel alternative Handlungsoptionen und verstärken damit ihre Position in der Verhandlung mit den Eigentümern. Dieser Schritt ist offenbar notwendig: Die Großeigentümer Engel, Carlyle, Landesbank Berlin und Intown haben nacheinander ihren Konzepten und Ankündigungen keine Taten folgen lassen. Der inzwischen 15 Jahre andauernde Stillstand im Ihme-Zentrum ist auch dadurch verursacht, dass die Stadt sich allein auf die Verhandlungen mit dem jeweiligen Großeigentümer beschränkt hat.